Der KZ-Komplex am Neckar
Immer mehr KZ-Häftlinge wurden im Lauf des Jahres 1944/45 zur Realisierung des Projekts „Goldfisch“ gebraucht. Sie mussten zum einen den Gipsstollen zur modernen Fabrik herrichten und ausbauen – eine Arbeit, die nie ganz fertig wurde, auch, als die Herstellung der Motorenteile schon begonnen hatte. Daneben mussten Unterkünfte für Daimler-Benz-Arbeiter (freie Arbeiter und Zwangsarbeiter) errichtet werden. Für sie waren weitere große Lager geplant, von denen nur das Lager „Hohl“ und das „Hammerlager“ wirklich fertig wurden.
Für die KZ-Häftlinge wurden neben dem KZ Neckarelz I (Schule) weitere fünf Lager eingerichtet. Aus einem Außenkommando, das nur für kurze Zeit bestehen sollte, war bis zum Kriegsende ein ganzer Lagerkomplex geworden. Dazu kamen noch die Lager für die bei "Goldfisch" beschäftigten anderen Zwangsarbeiter.
Als am 28.3.1945 die Lager aufgelöst wurden und die Häftlinge auf verschiedenen Wegen in das KZ Dachau verbracht werden sollten, hatten über 5.000 KZ- Häftlinge die sogenannten „Neckarlager“ durchlaufen.
Das KZ Neckargerach
Aufgrund des steigenden Bedarfs an KZ-Häftlingen für die Bauarbeiten wurde im April 1944 das KZ-Nebenlager Neckargerach auf dem Gelände eines ehemaligen Reichsarbeitsdienstlagers eröffnet. Es lag am Ortsausgang zwischen dem Seebach und der Straße nach Schollbrunn. Seit Anfang April 1944 war jeden Tag ein Kommando von 20 Häftlingen des KZ Neckarelz nach Neckargerach geschickt worden, um das Barackenlager zu einem KZ auszubauen.
Am 27. April 1944 traf dann ein Transport von 900 Häftlingen aus dem KZ Groß-Rosen in Neckargerach ein. Die Häftlinge fuhren jeden Tag von Neckargerach mit dem Zug zu den Baustellen in Obrigheim. Am 15. Mai 1944 kamen weitere 340 Gefangene aus dem KZ Sachsenhausen in Neckargerach an. Weitere Transporte folgten. Die Belegung schwankte zwischen 870 und 1.536 Häftlingen (Mitte September 1944).
Wegen der Überbelegung wurde zeitweise ein „Zirkuszelt“ auf dem Hof aufgeschlagen, in welchem die Häftlinge auf dem Boden schlafen mussten. Gegen Ende des Jahres 1944 entwickelte sich Neckargerach immer mehr zum Aufnahmelager für kranke Häftlinge aus den anderen fünf Lagern, weil es am weitesten von den Baustellen (Stollen, Unterkunftsbauten für Arbeiter) entfernt lag.
Das KZ Neckarelz II
Da die Belegung der Neckarlager weiter stieg, wurden ab Juli 1944 Baracken für das KZ-Nebenlager Neckarelz II am alten Bahnhof aufgebaut, ca. 700 m in südlicher Richtung von der Schule entfernt; heute liegt dort die Firma „Eisenguss“.
Zunächst waren hier 300 Häftlinge untergebracht. 1945 stieg dann die Belegung auf bis zu 1.400 Mann. Wegen der Nähe zu den Baustellen (nur ca. 1 km bis zum Stolleneingang) wurde Neckarelz II um den Jahreswechsel zum wichtigsten Arbeitslager.
Die Unterbringung und die sanitären Verhältnisse im Lager II waren verheerend. Der Lager- und die Blockältesten galten als besonders brutal.
„Die Stube 3 war ein widerliches Elendsquartier, wo sich die Sträflinge in der Nacht zum Schlafen übereinander legen mussten. Die Pritschen standen in drei Reihen unter einem Dach aus Teerpappe, durch welches Kondenswasser tropfte....“
(Albert Fäh, ehemaliger KZ-Häftling aus Frankreich).
Die „kleinen Lager“
Die drei kleineren Lager entstanden im September 1944 als Nebenlager des KZ Neckarelz. Die Lager Asbach und Neckarbischofsheim wurden zunächst von Häftlingskommandos aus Neckarelz und Neckargerach aufgebaut, die jeden Abend wieder in ihr Lager zurückkehrten. Die neuen Lager waren ja nicht für KZ-Häftlinge, sondern Daimler-Zwangsarbeiter bestimmt. Da der Ausbau länger dauerte als geplant, wurden die Kommandos schließlich fest angesiedelt.
Asbach
Als Standort hatte man ein Waldstück beim alten Sportplatz gewählt, das eigentlich auf Daudenzeller Gemarkung liegt; trotzdem blieb der Name „Asbach“ bestehen. Asbach wurde vermutlich deshalb ausgesucht, weil im Zuge des Verlagerungsprojektes A8 die Daimler-Benz-Zulieferfirma „Frankl und Kirchner“ (Mannheim) in den Asbacher Eisenbahntunnel verlegt werden sollte. Dieses Projekt hatte bereits den Tarnnamen „Kormoran“ erhalten, wurde aber nicht verwirklicht.
Das Lager Asbach war auf 32 Baracken ausgelegt, die jedoch größtenteils nicht fertig gestellt wurden. In zwei vollendeten Baracken waren die ca. 150 KZ-Häftlinge des Baukommandos untergebracht.
Neckarbischofsheim
Das KZ-Lager lag etwa zwei Kilometer nordwestlich von Neckarbischofsheim in der Nähe des Bahnhofs „Neckarbischofsheim Nord“ am Schwarzbach. Von den geplanten 18 Baracken wurden ebenfalls nur wenige fertig gestellt. Sie waren für so genannte „freie Ausländer“, also ausländische Zivilarbeiter von Daimler-Benz, bestimmt.
Das Lager beherbergte jedoch nur die 100 KZ-Häftlinge des Baukommandos. Nach dem Krieg wurden die Baracken um- und ausgebaut, aus ihnen entstand die heute noch bestehende „Schwarzbachsiedlung“.
Bad Rappenau
Das Lager Bad Rappenau wurde in zwei ehemaligen Bohrhäusern der Saline untergebracht. Offiziell hieß das Lager „Baulager der Waffen-SS“. Die etwa 50 KZ-Häftlinge arbeiteten auf dem SS-Bauhof, in der Landwirtschaft, im Salinenbetrieb und im Forst. Der SS-Bauhof verwaltete unter anderem Beutegut aus den besetzten Gebieten. Die dort beschäftigten Häftlinge waren also nicht für „Goldfisch“ tätig, es gab aber Austauschbeziehungen mit den anderen „Neckarlagern“. Deshalb wird dieses Lager zum KZ-Komplex der Neckarelz hinzugezählt.
Der „KZ-Komplex“ – auch ein psychologischer Begriff ...
Neben der Bedeutung „Ansammlung von kleineren und größeren KZ-Außenlagern“ kann man dem Begriff „KZ-Komplex“ auch im psychologischen Sinn verstehen. Denn nach dem Krieg wurde über dieses dunkle Kapitel der Heimatgeschichte nicht mehr gesprochen. Es wurde verdrängt, blieb aber unterschwellig bestehen, führte zu mancher aggressiven Reaktion und verhinderte eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
Erst eine neue Generation stellte ab den 80er Fragen, suchte Zeitzeugen, forschte in Archiven und setzte so Stück für Stück die Geschichte des KZ-Komplexes wie ein Puzzle zusammen.