Lebendige Lesung mit Zdenka Becker

Autorinnen-Lesung entwickelte sich zum Gespräch

Am 20. Mai las die österreichische Schriftstellerin Zdenka Becker aus ihrem neuen Roman "Es ist schon fast halb zwölf" im Seminarraum der Gedenkstätte. Dieser Roman hat einen Wirklichkeitskern: er verarbeitet die Geschichte von Zdenka Beckers Schwiegervater, der als Facharbeiter im Jahr 1938 Arbeit beim Daimler-Benz-Motorenwerk Genshagen/Ludwigsfelde fand. Als die Fabrik im August 1944 untertage in die Gipsgrube Obrigheim verlagert wurde, vollzog er diese Verlegung mit und arbeitete hinfort im Projekt "Goldfisch". Da seine junge Verlobte und spätere Ehefrau in Österreich den größeren Teil dieser Zeit in Österreich verbrachte, schrieb er ihr 500 Briefe.
Diese Briefe wurden für Zdenka Becker zum eigentlichen Schreibanlass, sie erfindet eine Geschichte darum, Fiktion und Wirklichkeit vermischen sich. Obwohl die erfundenen Personen den realen nur wenig gleichen, bilden die Arbeit in der Rüstungsindustrie, der Krieg, unterschiedliche Positionen zur NS-Zeit und die Verstrickung darein sowie die Schwierigkeiten des Erinnerns wichtige Themen des Romans. 
Die Lesung in der Gedenkstätte, in der Nähe des Original-Schauplatzes, unterschied sich von üblichen Lesungen des Literaturbetriebs. Zum einen traf Zdenak Becker hier auf ein besonders interessiertes und auch fachkundiges Publikum, zum anderen wurde ihre Einladung, sich bald mit Fragen und Kommentaren in die Lesung "einzumischen", gerne genutzt. So wurde das Gespräch zum Austausch über den Umgang mit der Geschichte im allgemeinen, der Familiengeschichte im Besonderen sowie der Frage, wie sich Wirklichkeit in Literatur verwandelt.
Begleitend zur Lesung gab es eine Austellung mit Original-Briefen von Leo Becker sowie Fotos der Fabriken und Schauplätze. Sie ist auf dem Foto im Hintergrund zu sehen.