Die Firma "Goldfisch"

Geschichte einer unterirdischen Rüstungsfabrik

Ursachen und Interessen

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 begann die Wiederaufrüstung Deutschlands. Der Diktator plante einen neuen Krieg, der die Schmach der Niederlage von 1918 vergessen machen sollte.

Dabei setzten die NS-Führung und die Militärs auf eine starke Luft­waffe. Dies eröffnete auch für die großen Technologiekonzerne wie z.B. Daimler-Benz neue Chancen. So entstand südlich von Berlin als Teil der Kriegsvorbereitungen des Deutschen Reiches das Flugzeugmotorenwerk Genshagen der Daim­ler-Benz Motorengesellschaft. In dieser hochmodernen Rüs­tungsfabrik wurden ab 1941 die Zwölfzylindermotoren DB 603 und 605 her­gestellt − Spitzenprodukte der Rüstungstechnologie.

Der 1939 begonnene Krieg brachte zunächst schnelle Siege. Als sich jedoch im Winter 1942/43 das Kriegsglück gewendet hatte, gewannen bis 1944 die Alliierten die Lufthoheit über dem deutschen Reichsgebiet. Damit nah­men Bombenangriffe auf die Rüstungsbetriebe zu. Anfang März 1944 wurde im Rahmen der Angriffswelle der „Big Week“ auch die Fabrik in Genshagen erstmals getroffen.

Mehr denn je war es für Nazi-Deutschland wichtig, Flugzeuge für den Luftkampf in großer Zahl zu produzieren. Dafür war am 1. März 1944 ein eigener militärischer Stab („Jägerstab“) gegründet worden; er bildete eine Schnittstelle zwischen Luftwaffe, Rüstungsministerium, SS und Industrieunternehmen. Er sollte die „Verteilung“ der Produktion auf verschiedene Orte und die „bombensichere“ Verlagerung in unterirdische Räume organisieren.

Weil durch den Krieg Arbeitskräfte äußerst knapp waren, konnte das Verlagerungspro­gramm nur verwirklicht werden, indem die SS „Schutzhäftlinge in ausrei­chendem Maße als Hilfskräfte für Bau und Fertigung“ einsetzte.

Für die Flugzeugmotorenproduktion von Daimler-Benz Genshagen wurden als die Gipsgruben „Friede“ und „Ernst“ am Uferhang des Neckars bei Obrigheim als neue Standorte bestimmt. Sie waren ausreichend groß und leicht um- und auszubauen. Außerdem lagen sie verkehrsgünstig an der damals noch existierenden Bahnlinie Heidelberg-Mosbach über Sinsheim-Aglasterhausen-Obrigheim und an der Wasserstraße des Neckar.

Die Projekte erhielten die SS-Bezeichnung „A 8“ / „A 8 b“, später die Tarnnamen „Goldfisch“ und „Brasse“. Um die KZ-Häftlinge unterzubringen, wurde zunächst in der Schule von Neckarelz ein Außenkommando des Konzentrationslagers Natzweiler eingerichtet. Später kamen noch weitere KZs in der Region hinzu.


Bauarbeiten: die Leiden der KZ-Häftlinge

Innerhalb von nur sieben Wochen sollte aus dem Gipsstollen eine unterirdische Fabrikhalle werden. Obwohl sich das schnell als Illusion herausstellte – im Grunde wurde gebaut, so lange „Goldfisch“ bestand - zeigt dies den ständigen Termindruck. Die Bauleitung teilten sich SS und Daimler-Benz, das Bauvolumen betrug 3,8 Millionen Reichsmark.

Schon Mitte März 1944 transportierte die SS die ersten 500 KZ-Häftlinge aus Dachau an. Sie hatten die Baustelle einzurichten und sollten die „Planierungsar­beiten“ beginnen, denn der Boden des Gipsstollens musste für die Maschi­nen erst betoniert werden. Schon bald wurde deutlich, dass ihre Arbeitskraft nicht ausreichte. Neue Häftlinge wurden angefordert, um die Termine annähernd einhalten zu können: ab Sommer 1944 sollte „Goldfisch“ Flugzeugmotoren liefern.

Die Baufirma Hochtief rechnete mit 470 Tonnen Baueisen und 270 Tonnen Maschineneisen. Geplant wurde die Verarbeitung von 440 Festmeter Bundholz und 870 Kubikmeter Schnittholz. Insgesamt sollten 270.000 Zie­gelsteine und 3200 Tonnen Zement verarbeitet werden. Dies geschah im traurigen und wahrsten Sinn des Wortes auf dem Rü­cken der KZ-Häftlinge. Sie mussten unter Schlägen und Drohungen die gesamte Infrastruktur der Fabrik herstellen und dafür - völlig unzureichend ernährt und gekleidet - in Tag- und Nacht­schichten arbeiten.

Im Außenbereich des Stollens bauten sie weitere Anlagen: ein Materiallager, eine Heizanlage für den Stollen („Kesselhaus“) sowie eine Umschlaghalle für die fertigen Motoren.

Im September und November 1944 stürzten Teile der Stollendecke ein und begruben Menschen und Maschinen. Auch andere Arbeitsunfälle waren häufig, da es insbesondere für die KZ-Häftlinge praktisch keine Sicherungsmaßnahmen gab.

Motorenproduktion

Anfang Mai 1944 wurde von der SS und den Planungsingenieuren von Daimler-Benz in Mosbach das „Büro Melzer“ eingerichtet, um die Verlagerung von Maschinen und Menschen aus Genshagen in den Stollen zu organisieren. Der Umzug sollte Mitte Juni beendet sein: In den unterirdischen Werkshallen sollte alle 2.000 Maschinen möglichst nach dersel­ben Ordnung wie im Werk Genshagen aufgestellt werden. Tatsächlich trafen die ersten 21 Maschinen aus Genshagen am 26. Juni 1944 im Bahnhof Neckarelz ein. Parallel dazu kamen auch Menschentransporte aus Genshagen, denn die Ar­beitskräfte wurden ebenso verlagert wie die Maschinen. Insgesamt strömten knapp 5.000 „Gefolgschaftsmitglieder“ (Zwangsarbeiter und freie Arbeiter) in die Region. Damit beschäftigte „Goldfisch“ insgesamt 10.000 Menschen: 5.000 KZ-Häftlinge und ebensoviele weitere Arbeitskräfte. Doch wieder dauerte alles viel länger als geplant.

Als die Verlagerung im Frühherbst 1944 endlich abgeschlossen war, wurde die Produktion aufgenommen. Erst Anfang Oktober 1944 war die Fertigungstechnik in „Goldfisch“ so weit, dass die ersten vollständig untertage hergestellten Motoren ausgeliefert werden konnten. Monatlich sollten bis zu 500 Motoren neu gebaut und etwa 350 in der Rück­montage-Abteilung repariert und instandgesetzt werden. Diese Soll-Leistungen konnten jedoch nicht erbracht werden; für den Winter befürchtete sogar die SS einen katastrophalen Produktionsrückgang

Im Herbst 1944 wurde von Daimler-Benz zusätzlich die Rückverlagerung von Ma­schinen aus dem Werk „Rochen“ aus Dubnica / Slowakei durchgesetzt und eine Teilverlagerung des Werkes Sindelfingen vorbereitet. Immer mehr Maschinen, die für die unmittelbare Produktion der Motoren gar nicht gebraucht wurden, wurden in den Stollen „Goldfisch“ und vor allem „Brasse“ untergestellt. Damit plante Daimler-Benz bereits für die Nachkriegszeit.


Das Ende von "Goldfisch"

Versorgungsprobleme und die ungünstige Kriegslage mit dauernden Bombenangriffen brachten im Februar 1945 die Produktion zum Erliegen, ab Mitte März wurden Arbeiterinnen und Arbeiter „abgestoßen“.

Ende März 1945 konnte verhindert werden, dass der Be­fehl Hitlers, alle Industrieanlagen zu zerstören, bei „Goldfisch“ umgesetzt wurde. Lediglich die Eisenbahnbrücke über den Neckar wurde gesprengt. Am 2. April 1945 besetzten amerikanische Einheiten das Neckartal und erkundeten sogleich die unterirdische Fabrik.

Nach dem Krieg wurde die beschlagnahmte Gipsgrube an die Firma Portland Zement zurückgegeben. Bis heute baut deren Nachfolgefirma HeidelberCement in den Bergen am Neckarufer Gips ab.